Matthias Weik und Marc Friedrich haben mit „
Kapitalfehler“ (Eichborn-Verlag, 2016) ein locker
formuliertes Werk mit einem hehren selbsterklärten Ziel verfasst:
„
am Ende aus verschiedenen Denkrichtungen und
Schulen einen Leitfaden für eine nachhaltige und gesunde, den
Menschen dienende Wirtschaft zu entwickeln.“
Positiv fällt
auf, dass sie einen breiten Überblick liefern und sich
gleichzeitig eine starke eigene Meinung erlauben, durchaus
häufiger im Widerspruch zur vorherrschenden ökonomischen
Lehre. So beziehen sie sich im Kapitel über die Entstehung von
Geld und von Marktwirtschaft auf den Anthropologen David Graeber
und bezeichnen die offenbar gerne in gängigen Ökonomiebüchern
wiedergegebene Erzählung Adam Smith's zur Frühgeschichte des
menschlichen Handels als „Märchen“. Die Autoren wenden sich eher an das breite Publikum,
was nach dem Erfolg ihres SPIEGEL-Bestsellers „Der größte Raubzug
der Geschichte“ nur logisch ist. So erklären sie auch Grundlagen,
sofern diese dem breiten Publikum eher unbekannt sein dürften, da
die Medien oft einen ganz anderen Eindruck erwecken: „Die
Schulden der Einen sind die Ersparnisse der
Anderen“ und „Wer
sich einen realistischen Blick von der wirtschaftlichen Lage
eines Landes verschaffen will, muss die Gesamtverschuldung in
Augenschein nehmen… die Schulden des Staates, der Unternehmen und
der Privathaushalte“.
Weik und Friedrich bekennen sich selbst als
„Befürworter des Ordoliberalismus“
. Sie wollen über
eine längere historische Rückschau Erkenntnisse für ein besseres
Wirtschaftssystem gewinnen. Ihre Beobachtung ist, dass der
Kapitalismus periodisch in Krisen gerät. Hierbei
sehen sie ursächlich „»lange Wellen der
Konjunktur«,
hinter denen Aufstieg und Niedergang großer technischer,
infrastruktureller und organisatorischer »Basisinnovationen«
wirken“. Der
Niedergang sei gekennzeichnet vom „Rückgang der Rentabilität von
Unternehmen, von ganzen Branchen, bisweilen sogar von ganzen
Volkswirtschaften“. In einer
Fußnote weisen die Autoren hier darauf hin, dass Marxisten mit
dem „tendenziellen Fall der Profitrate“ das gleiche Phänomen
beschrieben, man aber von Rentabilität statt von Profit sprechen
solle, wenn man sich nicht selbst als Marxist „outen“ wolle. Sie
schreiben, sie wollen sich „nicht orthodox an jenes »Gesetz«
klammern“, sehen aber
neben dem periodischen Niedergang auch eine wiederholtes
Übergehen des quasi gesunden Realkapitalismus in
den (selbst-)zerstörerischen Finanzkapitalismus. Investitionen in der Realwirtschaft seien „nur
rentabel bei »stabilen und unter der Wachstumsrate liegenden
Zinssätzen«“. Leider
bleiben die Wirtschafts-Autoren an dieser Schlüsselstelle ihrer
Zunft treu und wollen das Problem mit „nachhaltigem
Wirtschaftswachstum“ anstelle
von dauerhaft niedrigen Zinssätzen lösen. Was soll das überhaupt
sein, „nachhaltiges Wachstum“? Wie nachhaltig ist es, jedes Jahr
z.B. fünf Prozent mehr zu produzieren, mithin etwa alle 14 Jahre
die Wirtschaftsleistung zu verdoppeln? Auch negieren die Autoren
die inhärente Tendenz unseres Geld- und Wirtschaftssystems, die
Reichen reicher zu machen. Sie schreiben jeder Unternehmer
wüsste, dass das Risiko, mit seinen Ideen, Produkten oder
Dienstleistungen Verluste zu machen, „mindestens so hoch wie die
Aussicht auf Gewinn“
sei. Markus Pühringer dagegen konstatiert in „Im Bann des
Geldes“, dass sich „im kapitalistischen Casino“ ein „positiver
Erwartungswert gebildet“ habe: in der
Summe vermehre sich das investierte Kapital Jahr für Jahr „um ein
paar Prozent“. Laut den
Autoren sei die letzte Krise durch „viel zu niedrige Zinsen und
damit durch viel zu viel billiges Geld
entstanden“. Wir bei
der INWO sagen dagegen, dass (neben der zunehmend ungleichen
Vermögensverteilung) ein Hauptgrund für die Krise die zu flache
Zinsstruktur ist, also
der zu geringe Unterschied zwischen den Zinsen für kurz- und für
langfristige Geldanlagen. Eine Korrektur sollte aber nicht am
'langen' Ende, sondern bei den kurzfristigen Anlagen und den
liquiden Mitteln passieren – was die EZB mit den Negativzinsen
auf Zentralbankgeld immerhin eingeleitet hat.
Diese Fehler
in der Diagnose führen zumindest teilweise zu falschen
Empfehlungen und Erwartungen. Der Euro solle aufgelöst und
stattdessen nationale Währungen nach einem„neuen
Bretton-Woods-Verfahren“ eingeführt werden. Die Autoren übersehen dabei, dass dieses Verfahren
fester Wechselkurse mit dem US-Dollar als (goldgedecktem) Anker
nur wegen des kriegsschädenbedingt außerordentlich hohen und
langanhaltenden Wirtschaftswachstums überhaupt einige Zeit
funktionieren konnte. Staaten sollen pleite gehen können, fordern
sie – was in der jetzigen Welt mit stets positiven Zinsen ab
einer bestimmten Schuldenquote in Fremdwährung durchaus sinnvoll
ist. Gäbe es dank Freigeld diese Zinslast nicht, wären für einen Staat dagegen
beliebig hohe Schulden trag- und, falls überhaupt gewünscht,
langfristig auch abbaubar. Durch die Verfügungsgewalt über Land
und Steuersubjekte hat jeder Staat schließlich dauerhaft
Einnahmen. Dass die von den Autoren angedachte Einführung eines
Vollgeldsystems oder die Abschaffung aller privaten
Banken den Krisen
ein Ende setzen und stattdessen den Wohlstand steigern und seine
Verteilung verbessern würden, darf zumindest bezweifelt
werden. Helmut Creutz z.B. betont, dass nicht die Banken, sondern
die Vermögen das Problem sind.
Aus
freiwirtschaftlicher Sicht zu begrüßen ist dagegen die Vehemenz, mit der die Autoren unterstreichen, dass
Arbeit, Boden und Geld „ganz offensichtlich keine
Waren“ sind . Auch die Klarheit in Bezug auf die
Notwendigkeit der nicht-profitorientierten Bereitstellung von
Infrastruktur würde man
sich an anderer Stelle, zum Beispiel im Bundestag, genau so
wünschen. Als Mittel gegen die beklagten
Steuervermeidungsmöglichkeiten der internationalen Großkonzerne,
die die Infrastruktur damit nahezu kostenlos nutzen, fordern die
Autoren hauptsächlich, „die Steueroasen vom internationalen
Zahlungsverkehr ab[zu]schneiden“ statt die naheliegende Variante der Boden- und
Ressourcenbesteuerung zu wählen, der sich kein Boden und
Infrastruktur nutzender Konzern entziehen könnte.
Die Autoren schreiben selbst,
dass die Realwirtschaft „niedrige Zinssätze“ brauche, kritisieren
aber aufs schärfste die Nullzinspolitik der EZB, die Europas
Bürger „enteignet“. Was hat es eigentlich mit
Enteignung zu tun, wenn man keine Zinsen für sein Geld bekommt?
Und wer hat durch die Niedrigzinsen mehr „entgangene Einnahmen“,
diejenigen, die von Arbeitseinkommen leben, oder die wenigen
Reichen, die überwiegend Kapitaleinkommen beziehen?
Trotz einiger Widersprüche und
der geforderten Maßnahmen, die letztlich
nicht das propagierte Ziel „alle sollen vom Wohlstand
profitieren, nicht nur eine kleine Elite“ erreichen dürften,
ist das Buch voll von interessanten Fakten und
Verweisen und enthält einige provokante Thesen. Zur guten
Lesbarkeit tragen außerdem die sparsam
eingesetzten „Schmuck-Zitate“ zum Beispiel von Johannes
Rau, Kurt
Tucholsky und Oscar
Wilde bei.
S. 87
S. 234
S. 266
S. 261, Kapitel „Schuldknechtschaft
für alle“
S. 229
S. 159
S. 164
S. 168
S. 170, Real- und
Finanzkapitalismus mit Bezug auf Stephan Schulmeister
S. 171
S. 41
S. 162
Markus Pühringer, Im Bann des
Geldes - Anleitung zur Überwindung des Kapitalisums, 2013
S. 277
S. 308
S. 313
INWO-Standpunkt „Banken in die
Schranken?“
S. 253, in einem Zitat von Karl
Polanyi
S. 222 „Straßen, Schienennetz,
öffentlicher Fern- und Nahverkehr, Wasser/Strom und
Wasserstraßen“
S. 288
S. 171 vielleicht weniger die
eigene Meinung, sondern die von Schumpeter?
S. 307
S. 233: Wer glaubt, das ganze
Leben bestehe nur aus Marktbeziehungen, der kennt letztlich von
allem den Preis und von nichts mehr den Wert.
S. 261: Sie dachten, sie seien an
der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung.
S. 318: Mit 90% der Menschen
nicht übereinzustimmen, ist eines der wichtigsten Anzeichen für
geistige Gesundheit.